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Grußwort von Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Gründungsfeier von Despierta

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gründungsfeier-Gäste von Despierta e. V.,

meinen herzlichen Glückwunsch! Sie haben etwas Tolles geschafft, nämlich den Sprung von einer spontan geborenen Initiative zu einem dauerhaften, zivilgesellschaftlichen Engagement. Angefangen hatten Sie 2009 mit einem Ziel: Auf die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften aufmerksam zu machen. Inzwischen haben Sie Ihren Kanon erweitert und möchten auch andere brisante gesamtgesellschaftliche Themen aufgreifen. Das finde ich großartig.

Wer schon einmal einen gemeinnützigen Verein gegründet hat, weiß, wie viel Arbeit und Ausdauer damit verbunden ist. Dies ist umso beeindruckender, da bei Despierta alle Aktiven ehrenamtlich sind und bislang sogar die Aktionen selbst finanzieren. Dafür möchte ich Ihnen als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes meine Anerkennung aussprechen und für Ihr Engagement danken.

Eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ist nicht nur lebenswerter und leistungsfähiger – ein Leben ohne Diskriminierung ist vor allem ein Menschenrecht. Damit sich dieses Recht in allen Bereichen durchsetzt, brauchen wir Vereine wie Ihren, die mitgestalten und Menschen als Anlaufstelle dienen. Und wir brauchen ein Grundgesetz, das der Lebenswirklichkeit von heute entspricht. Deshalb denke ich, sind wir uns hier einig: Artikel 3 des Grundgesetzes muss endlich um das Merkmal „sexuelle Identität“ ergänzt werden. Der Staat hat eine wichtige Vorbildfunktion. Deshalb muss er auch dem Wunsch auf Familienbildung gleich begegnen, egal mit welcher sexuellen Identität Liebe gelebt wird. Es braucht keine Ehe zweiter Klasse für Lesben und Schwule.

Seit ich Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bin, stelle ich in Gesprächen vor Ort fest, dass es Menschen schwer fällt nachzuvollziehen, woran man Diskriminierungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz festmachen kann. Nicht jedem ist sofort klar, was der Unterschied zwischen Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität ist, wegen der ethnischen Herkunft oder Religion und dass Diskriminierungen wegen des Alters oder einer Behinderung verboten sind.

Also habe ich beschlossen, pro Kalenderjahr einen Diskriminierungsgrund des AGG gesondert in den Fokus zu rücken und dafür zu sensibilisieren. Da wir in alphabetischer Reihenfolge vorgehen, starten wir mit A wie Alter. Leider musste ich auch hier feststellen, dass dies kein Merkmal ist, dass seinerzeit von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes als schutzwürdig erkannt wurde. Auch hier muss der Gesetzgeber nachjustieren und unsere Grundrechtecharta um eine Formulierung ergänzen. Das Alter spielt im Zusammenhang mit sexueller Identität eine wichtige Rolle. So ist das Coming Out gerade für lesbische, schwule und transidente Jugendliche oft noch immer eine sehr belastende Phase. Institutionen, in deren Obhut sich Jugendliche befinden, müssen daher sicherstellen, dass alle Jugendlichen sich ohne Angst selbstbestimmt entfalten können. Und wir brauchen auf Vielfalt eingerichtete Pflege und Gesundheitsangebote, damit ältere Schwule und Lesben sich wohl fühlen können.

Grundsätzlich gilt: Die Themen Generationengerechtigkeit und Diskriminierungen aufgrund des Alters werden in unserer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger. Viele Menschen halten Ungleichbehandlung aufgrund des Alters leider für normal. Also werden noch immer Menschen benachteiligt, weil sie zu jung oder zu alt sind. Eine aktuelle Forsa-Umfrage in unserem Auftrag ergab, dass jede(r) fünfte Deutsche schon einmal Altersdiskriminierung erlebt hat – und dies, obwohl Diskriminierung aufgrund des Alters in Deutschland gesetzlich verboten ist. Wir müssen genau hinsehen, wenn in Stellenanzeigen Mitarbeiter für ein "junges, dynamisches Team" gesucht werden, oder der Antrag einer Seniorin auf Abschluss einer privaten Kranken-Zusatzversicherung abgelehnt oder einer älteren Patientin eine Reha-Maßnahme verweigert wird. Doch sei es in der Arbeitswelt, im Bereich Gesundheit oder bei alltäglichen Geschäften: Altersdiskriminierung ist inakzeptabel. 2012 steht daher für uns unter dem Motto: „Im besten Alter. Immer.“

Was wollen wir tun? Gemeinsam mit zahlreichen Prominenten aus Film, Literatur, Musik und Politik beginnt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Reihe von Veranstaltungen und Aktionen. Außerdem haben wir unter dem Vorsitz des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Henning Scherf eine Experten-Kommission ins Leben gerufen, die bis Ende des Jahres Handlungsempfehlungen vorlegen wird. Über unsere Vorhaben, wie die Aktionswoche im April oder unsere Fachtagung im Juni können Sie sich auf unserer Internetseite informieren unter www.antidiskriminierungsstelle.de Ihnen wünsche ich heute noch eine wunderbare Feier! Und für die Zukunft viel Erfolg, Kraft und Unterstützung bei Ihrem Engagement.

Herzlich, Ihre Christine Lüders

 

Auf dem Bild von links nach rechts: Mercedes Rodriguez Garcia-Gutierrez (Despierta), Dirk Brüllau (Queer Football Fanclubs), Tanja Walther-Ahrens (European Gay and Lesbian Football Association), Katharina Doumler (LSVD), Claudia Bender (Despierta), Christine Lüders (Antidiskriminierungsstelle), Anna Väthröder (Anidiskriminierungsstelle)


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